Doch dass die Impfung „gemeingefährlich“ ist, belegt die Studie keineswegs. Zwei Virologen und ein Kardiologe, mit denen der #Faktenfuchs gesprochen hat, weisen auf Schwächen der Studie hin. Die Studie untersuchte Patienten mit einem sogenannten „Post-vaccination-syndrome“ (auf Deutsch häufig als „Post-Vac“ abgekürzt, wörtlich übersetzt „Post-Impfung-Syndrom“). Die Experten sagen: Ein Zusammenhang zwischen Corona-Impfungen und „Post-Vac“ ist nicht bewiesen, weitere Forschung sei notwendig.
„Post-Vac-Syndrom“ keine medizinisch definierte Erkrankung
Das Paul-Ehrlich-Institut, das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist, schreibt dem #Faktenfuchs, ihm sei keine Studie bekannt, die „Post-Vac“ wissenschaftlich nachweisen würde. Der Begriff stelle keine medizinisch definierte Bezeichnung einer Erkrankung dar.
Auch laut Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München und bei Helmholtz München, „stellt Post-Vac kein medizinisch klar definiertes Krankheitsbild dar“. Man verstehe darunter „anhaltende Beschwerden, die etwas verzögert nach einer Impfung auftreten und dann für mindestens zwei Monate anhalten“. „Post-Vac“ könne beispielsweise mit exzessiver Müdigkeit, Kribbeln, Brennen oder Taubheitsgefühl, Konzentrationsstörungen, verminderter Belastungsfähigkeit oder Muskelschmerzen einhergehen. „Das sind Symptome, die nicht einfach einer Erkrankung zuzuordnen sind. Sie sind ähnlich zu dem, was man als Long Covid bezeichnet.“ Auch Long Covid äußert sich mit vielen unterschiedlichen Symptomen, die Wochen oder Monate nach einer Corona-Infektion andauern.
„Im Durchschnitt verschwindet das Spike-Protein 14 Tage nach der Impfung.“
Richtig ist, dass das Spike-Protein des Sars-CoV-2-Virus nach einer mRNA-Impfung gegen das Virus im menschlichen Körper produziert wird. Das ist gewollt, denn das Spike-Protein löst eine Immunreaktion aus und bereitet so die Abwehr des Körpers gegen das Virus vor.
In der Natur sitzen zahlreiche Spike-Proteine auf der Oberfläche des Corona-Virus. Infiziert sich ein Mensch, dockt das Virus darüber an die passenden Proteinrezeptoren menschlicher Zellen an. Friedemann Weber, Professor für Virologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, sagt: „Der Hauptberuf der Spike-Proteine ist dafür zu sorgen, dass das Virus in die Zelle reinkommt.“
Corona-mRNA-Impfstoffe, wie die von Biontech/Pfizer oder Moderna, enthalten den genetischen Bauplan für das Spike-Protein. Bekommt man einen solchen Impfstoff verabreicht, baut der Körper also Spike-Proteine nach. Daraufhin produziert das Immunsystem Antikörper gegen das Virus – ohne, dass man tatsächlich mit dem Virus infiziert worden ist. Anschließend baut der Körper die Spike-Proteine wieder ab. Friedemann Weber sagt: „Im Durchschnitt verschwindet das Spike-Protein 14 Tage nach der Impfung.“
Ungeachtet dessen verbreiten sich Spekulationen darüber, Spike-Proteine könnten nach der Impfung länger im Körper bleiben – und so Gesundheitsschäden auslösen.
Preprint sorgt für neuen Diskussionsstoff
Befeuert wurden sie durch eine Vorab-Veröffentlichung einer Studie der Yale-Universität, ein sogenanntes Preprint, das im Februar dieses Jahres veröffentlicht wurde. Im Körper eines Patienten fanden die Autoren der Studie 709 Tage nach einer Impfung Spike-Proteine.
In Preprints werden wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlicht, noch bevor sie den üblichen Peer-Review-Prozess durchlaufen haben – also von unabhängigen Gutachtern beurteilt wurden. Dadurch gelangen wissenschaftliche Erkenntnisse schneller an die Öffentlichkeit – können aber auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Fehler enthalten als begutachtete Arbeiten.
Die Autoren des Preprints untersuchten Blutproben von Patienten, die gegen das Coronavirus geimpft wurden und danach chronische Gesundheitsbeschwerden entwickelten. „Post-vaccination-syndrome“ (PVS) werden diese Gesundheitsbeschwerden in der Studie genannt.
Die Forscher verglichen Blutproben von 42 „Post-Vac“-Patienten mit Blutproben von 22 Patienten, die ebenfalls gegen Corona geimpft wurden, danach aber keine Gesundheitsbeschwerden entwickelten. Die beiden Stichproben sind relativ klein – eine Schwäche, die die Forscher im Preprint selbst einräumen.
Nachweis einer früheren Corona-Infektion „nicht perfekt“
Um den tatsächlichen Effekt der Impfung erforschen zu können, mussten die Forscher ausschließen, dass Patienten mit „PVS“ eigentlich an Long Covid litten, weil sie in der Vergangenheit eine asymptomatische Covid-Infektion hatten. Dafür untersuchten sie die Blutproben aller Patienten auf Antikörper gegen das sogenannte Nukleoprotein, erklärt Virologe Friedemann Weber. Diese Antikörper seien nur im Blut von Menschen vorzufinden, die sich mit dem Virus infiziert hatten oder haben – im Gegensatz zu Antikörpern gegen das Spike-Protein, die sich sowohl im Blut von Geimpften als auch im Blut von Genesenen finden. So kamen die Forscher zu dem Schluss, dass 27 von 42 der untersuchten „PVS“-Patienten in der Vergangenheit eine Corona-Infektion hatten, sowie 11 von 22 der untersuchten Patienten ohne „PVS“.
Weber sagt jedoch: „Dieser Nachweis ist nicht perfekt. Bei einer leichten Infektion werden solche Antikörper unter Umständen gar nicht produziert.“ Auch im Preprint selbst steht: „Negative Ergebnisse können eine frühere Infektion, die in ferner Vergangenheit stattgefunden hat, nicht eindeutig ausschließen.“ Tatsächlich konnten die Forscher selbst in zwei Fällen keine Antikörper gegen das Nukleoprotein im Blut von Patienten nachweisen, obwohl diese Patienten angaben, sie hätten in der Vergangenheit Corona gehabt.
„Das ist qualitativ schon sehr hochwertig gemacht“
Auch Ulrike Protzer sagt: „Durch die Vielzahl der Infektionen ist es ganz schwierig, das auszuschließen.“ Dennoch betont sie: „Die Autoren dieser Studie haben solide Methoden verwendet, auch wenn die Studie bisher nur vorveröffentlicht ist und noch keinen Peer-Review-Prozess durchlaufen hat.“ Eine der Studienleiterinnen ist Akiko Iwasaki von der Yale Universität, eine weltweit renommierte Long Covid-Forscherin.
Virologin Protzer erklärt, die Forscher hätten bei einem Drittel der untersuchten „Post-Vac“-Patienten eine vorherige Corona-Infektion gefunden. Dazu hätten sie sehr diverse Veränderungen gefunden: bei einigen etwa verminderte T-Zellen – also Zellen, die in der Immunabwehr des Körpers eine wichtige Rolle spielen. Bei anderen hätten sie Autoantikörper entdeckt – also Antikörper, die sich gegen das eigene Immunsystem richten. „Bei einigen Patienten gab es einen Hinweis darauf, dass eine vergangene Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus reaktiviert werden könnte.“
Das Epstein-Barr-Virus kann sich als sogenanntes „Pfeiffersches Drüsenfieber“ äußern. Dann geht es mit Symptomen wie Fieber, Halsschmerzen und Müdigkeit einher. Es kann auch langwierige Verläufe annehmen und zum Beispiel das chronische Müdigkeitssyndrom auslösen.
Protzer hält einen direkten Zusammenhang zwischen der Impfung und den Long Covid-ähnlichen Symptomen für möglich. Das mit Sicherheit zu sagen, sei aber extrem schwierig, „weil Post-Vac nur sehr wenige Menschen betrifft und viele davon auch Infektionen hatten.“
Studienleiterin: „Wir erwähnen nie Kausalität“
Einer von mehreren Erklärungsansätzen sei, dass das Spike-Protein im Impfstoff die Symptome auslöse, so Protzer. „Aber was dann genau passiert, darüber gibt es verschiedene Theorien.“ Protzer hält eine fehlgesteuerte Immunreaktion gegen das Protein für möglich. Sie sagt: „Aber ob das eine Veranlagung zu den Beschwerden ist, die dann durch die Impfung oder auch durch eine Infektion getriggert wird oder ob das ein komplett neu auftretendes Phänomen ist, das weiß man halt leider einfach nicht.“
Bislang habe sich keine Theorie als gesichert durchsetzen können. „Das wird auch ganz, ganz schwer wirklich mit Sicherheit zu klären sein“, so Protzer.
Friedemann Weber von der Uni Gießen sagt: „Es ist gut und wichtig, dass man dem weiter nachgeht. Die Daten können das aber noch nicht auf die Impfung selbst festnageln. Es ist immer noch sehr gut möglich, dass doch eine Corona-Infektion dahinter steckt.“
Die Preprint-Autoren selbst kommen zu dem Schluss, dass weitere Forschung nötig sei. Auf die Nachfrage eines Nutzers auf X, ob auch unentdeckte asymptomatische Corona-Infektionen die in der Studie untersuchten „Post-Vac“-Fälle ausgelöst haben könnten, schreibt Studienleiterin Iwasaki : „Es ist möglich, dass diese Tests asymptomatische Infektionen, die lange zurückliegen, nicht erfasst haben. Wir erwähnen nie Kausalität“. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Impfung und den Gesundheitsbeschwerden wird also gar nicht behauptet.
Risiko für „Post-Vac“-Symptome deutlich geringer als Risiko für Long Covid
Sowohl Ulrike Protzer als auch Friedemann Weber sagen: Gesichert sei, dass das Risiko, infolge einer Corona-Infektion an Long Covid zu erkranken, deutlich größer sei, als das Risiko, infolge einer Impfung langanhaltende Symptome zu entwickeln. Weber sagt: „Je länger die Infektion oder Impfung her ist, desto empfindlicher sind wir wieder für die neuen Virusvarianten, die ja dauernd entstehen.“ Das berge immer noch ein gewisses Risiko für Long Covid – auch, wenn man schon eine gewisse Grundimmunität habe.
Protzer schätzt das Risiko, nach einer Impfung „Post-Vac“ zu entwickeln, auf 0,01 Prozent. Das sei viel geringer als das Risiko, Long Covid zu entwickeln. Laut RKI entwickeln 5 bis 10 Prozent aller Corona-Infizierten (also 500-1000 mal so viele Menschen) Long Covid-Symptome. Das Risiko für Long-COVID werde zudem durch eine Impfung halbiert, so Protzer.
„Das sind wirklich sehr, sehr wenige Fälle“
Bernhard Schieffer ist Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin der Universitätsklinik Marburg. Sowohl Patienten mit Verdacht auf Post Covid als auch Patienten mit Verdacht auf chronische Impf-Nebenwirkungen kommen zur Post-Covid-Ambulanz der Klinik. Von Post Covid spricht man laut Bundesärztekammer, wenn Covid-Symptome mehr als zwölf Wochen nach der akuten Infektion fortbestehen. Long Covid beginnt demnach bereits vier Wochen nach der akuten Infektion.
Wenn ein Patient sich bei ihm vorstellt, könne er nicht einfach unterscheiden, ob seine Symptome durch eine Corona-Infektion oder möglicherweise durch eine Impfung ausgelöst wurden, sagt Schieffer.
Dennoch glaubt er, dass Post Covid-ähnliche Symptomatiken von einer Impfung ausgelöst werden können. Denn bei manchen Patienten konnte er einen direkten zeitlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und Symptomatiken beobachten. „Es wird geimpft und dann geht es wenige Stunden oder wenige Tage danach los“, so Schieffer. Er betont aber: „Das sind wirklich sehr, sehr wenige Fälle“.
Schieffer bezeichnet die Vorabveröffentlichung von Iwasaki als wenig zielführend. „Sie beobachten etwas in einem selektierten Patientenklientel. Das bedeutet für andere Patienten ehrlich gesagt noch gar nichts.“
Geringe Fallzahlen erschweren die Erforschung des „Post-Vac-Syndrom“. „Sie brauchen 2000 Patienten, um auch nur annähernd einen Beweis zu führen“, sagt Schieffer. Und je länger der Virus in der Welt ist, desto schwieriger wird es, Patienten zu finden, die geimpft sind, aber noch nie Corona hatten. Bernhard Schieffer bemüht eine Metapher: „Wenn sie auf Spurensuche gehen und es regnet wie Hölle oder es stürmt, dann ist es wahrscheinlich, dass Spuren verwischen, die ihnen helfen könnten“.
Paul-Ehrlich-Institut konnte kein erhöhtes Risiko nach Impfung feststellen
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist für die Überwachung der Arzneimittelsicherheit zuständig. Das Spontanmeldesystem für Verdachtsfallmeldungen zu Impfkomplikationen und -nebenwirkungen habe den Zweck, frühzeitig Hinweise auf neue, noch unbekannte Nebenwirkungen zu geben. Bis zum 31.12.2024 dokumentierte das PEI insgesamt 2.588 Verdachtsfallmeldungen, die es unter dem Begriff „Post Covid Vaccination Syndrom“ (PCVS) zusammenfasst.
- Warum man aus Verdachtsfallmeldungen noch nicht ableiten kann, wie häufig Nebenwirkungen sind, hat der #Faktenfuchs in diesem Artikel zusammengefasst.
Dazu zählen auch Meldungen von Verdachtsfällen von Diagnosen wie chronischem Erschöpfungssysndrom, Herzrasen nach dem Aufstehen oder Unwohlsein nach Belastung. Das PEI schreibt dazu dem #Faktenfuchs: „Der Inhalt der Meldungen geht (…) auf die jeweils meldende Person oder Institution zurück und eine Übernahme dieses Inhalts durch das Paul-Ehrlich-Institut ist keine Bestätigung einer (Selbst-)Diagnose.“
Laut PEI konnte bei den Auswertungen der Verdachtsfallmeldungen weder in Deutschland, noch nach Auswertung von Daten aus Ländern in Europa und weltweit, in denen zentral zugelassene COVID-19-Impfstoffe verabreicht wurden, ein erhöhtes Risiko für das Auftreten dieser Beschwerden festgestellt werden.
Kein anerkannter Impfschaden infolge des „Post-Vac-Syndroms“ in Bayern
In Bayern ist die „Landesbehörde Zentrum Bayern Familie Soziales“ (ZBFS) für die Anerkennung von Impfschäden zuständig. Sie teilt auf #Faktenfuchs-Anfrage mit, sie habe bis zum 1. April 2025 153 Impfschäden infolge von Corona-Impfungen anerkannt. Insgesamt gingen 2.968 Anträge ein. Ein Impfschaden ist laut Sozialgesetzbuch „(…) eine gesundheitliche Schädigung (…), die über das übliche Maß einer Reaktion auf die Schutzimpfung (…) hinausgeht“. Für den jeweils ursächlichen Zusammenhang reiche der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit, so das ZBFS.
Ein „Post-Vac-Syndrom“ sei in keinem der Fälle die Begründung für die anerkannten Impfschäden gewesen – da es sich um keine offizielle Impfnebenwirkung handele. „In den meisten Fällen, in denen ein PVS geltend gemacht wird, ist ein Primärschaden nicht ersichtlich bzw. nachgewiesen, weshalb der Antrag bereits aus diesem Grund abgelehnt werden muss“, schreibt das ZBFS.
Fazit
Das sogenannte „Post-Vac-Symptom“ ist kein einheitlich definiertes Krankheitsbild. Die berichteten Symptome ähneln jenen von Long Covid.
Ein kausaler Zusammenhang zwischen Spike-Proteinen aus einer Corona-Impfung und Long Covid-ähnlichen Symptomen ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Manche Experten halten einen solchen Zusammenhang dennoch für möglich – und verweisen auf die Notwendigkeit weiterer Forschung.
Das Risiko, an Long Covid zu erkranken, ist deutlich größer als das Risiko, ein „Post-Vac-Syndrom“ zu entwickeln.